Leider ist dieses Forum in den letzten Wochen ja irgendwie in den vorgezogenen Winterschlaf verfallen. Trotzdem werde ich nicht müde, diesen Thread mit jenen Filmen, die bei mir über die Maßen haften geblieben sind, ordentlich vollzuspammen - sei es auch nur für mich selbst.
In den letzten Jahren macht sich ja ein aus meiner Sicht erfreulicher Trend bemerkbar, abendfüllende Dokumentationen im aufwendigen Stil zu produzieren. Unterfüttert mit einer teils drastischen Dramaturgie zeigen sich hier engagierte Filmemacher bestrebt, ihre Botschaften einem breiten Publikum zukommen zu lassen. Information/Aufklärung und Unterhaltung werden in diesem Genre immer mehr vermischt. Man muss heute eben schon einiges aufbieten, um im Zeitalter der Informations- und Bilderflut den Zuschauer auch zu erreichen ... manchmal halt auch dort, wo es weh tut. Mann kann sich hier natürlich nun um Objektivitätsansprüche u.s.w. streiten, doch schon Kisch (Der Rasende Reporter) wies in den Anfängen dieses Genres darauf hin, dass man die Subjektivität des Autors hier nie ganz tilgen könnte. Und warum sollte man auch? Viele Dokumentarfilmer wollen schließlich nichts anderes, als den Zuschauer für das zu gewinnen, was ihnen halt am Herzen liegt. Dafür muss man die Leute auch schon mal bei den Eiern packen. Warum etwa einen Michael Moore verdammen, wenn er trotz aller Inszenierung im Kern der Sache doch recht hat? Was man am Ende mitnimmt liegt schließlich auch noch ein wenig beim reflektierenden Betrachter.
So viel dazu. Zum Film:
Genau hier setzt auch Louie Psyhoyos' "The Cove" ("Die Bucht") an. Sicherlich ist dieser Film dem einen oder anderen bereits ein Begriff. So wurde er im letzten Jahr nicht nur als bester Dokumentarfilm mit Oscar ausgezeichnet, sondern hatte auch aufgrund seines Inhalts eine (leider recht) kurze Präsenz in den Medien. Der Film richtet sein Augenmerk auf eine kleine Meeresküste im japanischen Taiji, in der jedes Jahr im September Delfinschwärme zusammengetrieben werden. Einige wenige davon werden gefangen und für teures Geld an Delfinarien verkauft. Der Großteil jedoch wird verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit in einer kleinen Bucht brutal abgeschlachtet und geht teils offen, teils als Walfleisch deklariert in die Nahrungsmittelindustrie. Am Ende finden so jährlich 23000 Delfine in Taiji den Tod.
Im Grunde thematisiert der Film nichts, was uns nicht längst seit langem bekannt ist. Unter den zahlreichen Missständen unserer Welt gehört das Drama des japanischen Fisch- und Walfangs zu jenen Themen, die wir zwar immer wieder mal mit Entsetzen wahrnehmen, das jedoch kaum aus dem Sud der zahlreichen anderen Katastrophen, mit denen wir tagtäglich konfrontiert werden, herausragt. Was den Film so besonders macht, ist die Eindringlichkeit, mit der die Macher es schaffen, ihre Botschaft zu vermitteln.
"The Cove " zeichnet sich zunächst durch eine recht clevere Struktur aus. So versucht man erst gar nicht, eine globale und kaum durchschaubare Problematik aufzuspannen, wobei dem Zuschauer irgendwann die unangenehme Erkenntnis aufgeht, dass jeder Ansatz, hier irgendwas ändern zu wollen, bereits im Keim zu ersticken droht. Ganz im Gegenteil. "The Cove" setzt gleich zu Beginn bei der Lösung des Problems an, dass er aufzeigen möchte. Im Mittelpunkt steht der ehemalige Delfintrainer Richard O'Barry (Flipper), der nach einem einschneidenden Sinneswandel sein Leben dem Delfinschutz gewidmet hat. Seit Jahren versucht er die Machenschaften der Fischer in Taiji der Weltöffentlichkeit bekannt zu machen, scheitert dabei jedoch an der teils arg aggressiven Fischergemeinde des Ortes sowie an der japanischen Regierung, die sich sichtlich bemüht zeigt, das ganze zu vertuschen oder gut zu reden.
Als der Dokumentarfilmer Psihoyos auf O'Barry aufmerksam wird, beschließt man, das Massaker gegen den Widerstand der Behörden und Fischer endlich auf Zelluloid zu bannen und öffentlich zu machen. Gekonnt verschmelzen hier die Grenzen zwischen Dokumentation und Unterhaltungsfilm. Im Stile eines Heist-Movies werden ein Team von befreundeten Adrenalinjunkies und Spezialisten zusammengetrommelt und anschließend die einzelnen Etappen der Planung und Realisierung des Unterfangens gezeigt. Der Vergleich mit "Oceans Eleven" liegt hier in der Tat sehr nahe. Zwischen diesen Sequenzen verweist der Film immer wieder auf die Ausläufer der Problematik. So wir etwa die Zahnlosigkeit und Korrumpierbarkeit der IWC aufgezeigt oder das Problem der hohen Quecksilberbelastung des Delfin- und Walfleischs, die von der japanischen Regierung immer wieder klein geredet wird, in Wahrheit jedoch in vereinzelten Gebieten für zahlreiche Tode und Missgeburten verantwortlich ist.
"The Cove" hält damit ein aus meiner Sicht unheimlich gelungenes Gleichgewicht aus hinreichendem Informationsgehalt und enormer Spannung. Selten habe ich so mitgefiebert. Den besonderen emotionalen touch erhält der Film vor allem durch O'Barry, dessen traurig-optimistische Hingabe an sein Lebenswerk sich sowohl auf das Team als auch auf den Zuschauer überträgt. Dabei bräuchte es das nicht einmal. Spätestens als sich bei einer ersten Sichtung des Hafens ein Babydelfin aus der versteckten Bucht flüchtet und blutend auf das verdutzte Team zuschwimmt, um dann unterzugehen, ist es emotional um den Zuschauer endgültig gescheh'n.
Natürlich ist es leicht, das Publikum mit einer großäugigen Schmusekatze für sich zu gewinnen ... Aber warum auch nicht? Letztlich ist "The Cove" ein sehr intimer Film, der eine sehr sehr kleine, aber umso mutigere Gemeinschaft zeigt, die für ihr Anliegen werben wollen und dabei auch gleich zeigen, das und wie man etwas unternehmen kann. Ich habe lange nicht mehr derart schlucken müssen nach dem Ende eines Films. Und trotzdem empfand ich die Botschaft als enorm positiv. Was am Ende traurig stimmt, ist vielmehr die Frage, was von solchen Filmen im nächsten Jahr noch bleibt. Persönlich denke ich, auch wenn man sicherlich nicht gleich der nächstgelegenen Tierschutzorganisation beitreten muss, so kann man doch ein Stück weit etwas von der Lebenseinstellung solcher Menschen in sich selbst aufnehmen. Vielleicht ist damit schon ein wenig geholfen.
Alles in allem ist "The Cove" aus meiner Sicht in mehrfacher Weise ein durch die Bank weg gutes Beispiel.
_________________ Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen/ Den Vorhang zu und alle Fragen offen.
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